Am 8. Mai 2019 findet der insgesamt 15. Prozess gegen die (mutmaßlichen) Täter des 11.01.2016 am Amtsgericht Leipzig statt. Angeklagt sind Jens E. und Philipp S., beide werden von den Hallenser AnwältInnen Daniela Krumpe und Tino Brechtmann vertreten. Den Vorsitz hat Richterin Hahn, die Staatsanwaltschaft ist in Person von Staatsanwältin Papproth und Staatsanwalt Zimmermann anwesend. Besonders interessant an diesem Verfahren ist, dass die Anklage aufgrund darin enthaltener Fehler bereits zwei mal zurückgenommen wurde.
Philipp S. wird zur Last gelegt am 11.01.2016 einen Stein durch eine Tür geworfen zu haben, wobei sein Gesicht durch eine blau-gelbe Maske verdeckt war. Nicht näher den Angeklagten zugeordnet werden außerdem Handschuhe mit Protektoren, die einer der beiden Angeklagten als Schlagwerkzeug mitgeführt haben soll. Auch im Vorfeld dieser Verhandlung legte das Gericht Wert auf eine Verfahrensabsprache. Verständigungsgespräche haben dennoch nicht stattgefunden, wie die Richterin zu Beginn der Verhandlung erklärt.
Die beiden Angeklagten wollen sich laut ihrer Verteidigung dennoch äußern. Zur Absprache wird die Verhandlung daher für 15 Minuten direkt nach Beginn unterbrochen. Danach ist klar, dass Jens E. schweigt, während Philipp S. aussagt.
Philipp S. lässt seine Einlassung durch seinen Anwalt verlesen. Darin erklärt er einen Stein in ein Musikgeschäft geworfen zu haben und somit an der Straftat zum Landfriedensbruch beteiligt gewesen zu sein. Seinen Mitangeklagten kennt er laut eigener Aussage jedoch nicht und erklärt während des Geschehens „relativ weit hinten“ gewesen sein, ca. 49 Leute hätten sich vor ihm befunden. Auf Nachfrage erklärt er, dass am Vortreffpunkt eine Plastiktüte mit Steinen herumgereicht worden sei. Mittlerweile habe er sich von dem Vorhaben und Geschehen aber distanziert. Die Befragung durch die Staatsanwaltschaft bringt weitere Erkenntnisse zu Tage: so wird ersichtlich, dass S. von einem Arbeitskollegen, welcher am 11.01.2016 ebenfalls in Connewitz vor Ort war, von dem Vorhaben erfuhr. Zu der Gruppe ist niemand hinzugestoßen, erklärt S., alle die vor Ort waren, waren von Anfang an dabei. Um ihn herum hat der Angeklagte nur Personen gesehen, die alles demolierten. Auf dezidierte Fragen hin erklärt S. außerdem, dass ihm klar gewesen sei, dass es nicht bei einem einfachen „Marsch“ bleiben würde und es für den „persönlichen Schutzinstinkt“ die Möglichkeit gegeben hätte, sich gefahrlos zu entfernen.
Nach der Ausführung von Philipp S. überdenkt E. seine Haltung und äußert sich schließlich zum Tathergang.
E. erklärt, es habe nicht in seiner Absicht gestanden, die Gewerbetreibenden zu schädigen. Er sei mit einem Bekannten nach Connewitz gefahren und habe in der Meusdorfer Str. geparkt. Dort hätten sie die Gruppe bemerkt und sich ihr angeschlossen. Als es ab der Biedermannstraße in zügigerem Tempo voran ging, habe er den Anschluss verloren und folgte der Biedermannstraße. Auf Höhe der Auerbachstraße habe er Geräusche gehört, die aus Richtung der Wolfgang-Heinze-Straße gekommen seien. Er selbst sei jedoch nicht mehr zur Wolfgang-Heinze-Straße durchgekommen, denn zu diesem Zeitpunkt sei die Masse ihm entgegen gerannt. Schließlich sei er von der Polizei festgehalten und in eine ca. 40 Personen große Gruppe geschoben worden sein. Erst im Nachhinein behauptet er mit dieser „Kleingruppe“ in die „Großgruppe“ gedrückt worden zu sein. Auf Nachfragen weicht der Angeklagte E. aus, gibt aber an, von dem „Treffpunkt Meusdorfer Straße“ von jenem Bekannten erfahren zu haben, auf den er bereits hindeutete. Mit diesem sei er den ganzen Abend unterwegs gewesen. Jens E. Sagt, es handelt sich um Daniel W., einen anderen Angeklagten aus den 1101-Verfahren. Daniel W. habe Jens E. mitgeteilt, wo er parken soll. Daniel W. sei ebenfalls nicht mit der Gruppe gekommen, als er auf sie traf, sondern hätte sich lediglich mit Jens E. verabredet.
Es folgt die Beweisaufnahme in Form von Zeugenladungen.
Als Erstes geladen wird der LKA-Beamte K. Er führte am Tatabend die Spurensicherung auf der Wolfgang-Heinze-Straße durch und sicherte dabei von 3 Steinen Fingerabdrücke, die durch Scheiben geworfen wurden. Er gibt jedoch an, dass sich seine KollegInnen und er am Tatabend zuerst auf die Straßenseiten aufteilten, um einen Überblick zu bekommen und mit der Arbeit anzufangen. Kurz danach habe es jedoch den Befehl gegeben die Arbeit abzubrechen. Als weitere Zeugen treten Herr P. (Anwohner) sowie Herr Q. (Anwohner) auf.
Herr Q. wurde in seiner Privatwohnung von einem Metallgeschoss verletzt, dass während der Verhandlung als „Brandkartusche“ bezeichnet wird. Andere Zeugenaussagen, beispielsweise von den Polizeibeamten (2x Herr F., Herr G., Herr K.) und weiteren AnwohnerInnen, sollen im Selbstleseverfahren eingeführt werden, doch Rechtsanwältin Krumpe erklärt, in ihrer Akte würde eine Zeugenaussage fehlen. Daraufhin entgegnet Richterin Hahn: „dann streichen wir den, die sagen eh alle (fast) das gleiche“. In der Folge werden Ergebnisse der DNA-Analyse verlesen. Dabei wird festgestellt, dass die DNA-Spuren vollständig mit der DNA von Philipp S. überein stimmen. Außerdem wird ein Polizeibericht vorgelesen. Rechtsanwältin Krumpe stellt daraufhin den Antrag zusätzlich die Polizeiberichte der Beamten L. und F. einzuführen. Dem Antrag wird stattgegeben. Außerdem soll Daniel W. als Zeuge geladen werden. Mit diesem habe die Anwältin in der Pause telefoniert, woraufhin er sein Einverständnis signalisierte. Daraufhin wird die Verhandlung unterbrochen. Die Fortsetzung erfolgt knapp 2 Wochen später.
Zum Fortsetzungstermin am 23. Mai ist wieder Staatsanwalt Zimmermann anwesend, der aber von einer anderen Person als zweite StA begleitet wird.
Als erster Zeuge ist Daniel W., der Freund von Jens E., geladen. Dieser macht allerdings von seinem Verweigerungsrecht Gebrauch und äußert sich nicht. Der zweite Zeuge, der Polizeibeamte L., war bei der Festsetzung der Beschuldigten stationiert. Er erklärt auf Nachfragen der Richterin, was es mit gewissen Notizen auf sich hat, die in Berichten auftauchen. Demnach hat der Polizeibeamte G. den Angeklagten Jens E. um 22.30 Uhr übernommen, um ihn in den Gefangenentransporter zu bringen. Sein Kollege, der Polizeibeamte Q., habe Philipp S. zur gleichen Zeit an den Gefangenentransporter übergeben. Durchsucht worden sei dieser laut Sammelbericht der Polizei erst um 2 Uhr am Folgetag. Außerdem erklärt der Beamte es habe an dem Abend keinen Sinn gemacht Umstehende in die Gruppe zu drängen. Er widerspricht damit der Aussage des Angeklagten.
Anschließend wird der Polizeibeamte Fr. befragt, der am Abend die Videoaufnahmen für die Polizei erstellte. Dieser erklärt, dass ihnen auf der Auerbachstraße eine Gruppe mit 4-5 Personen entgegen kam. Als er mit seinen Kollegen Richtung Wolfgang-Heinze-Straße lief, sei die Gruppe ihnen gefolgt. Darunter haben sich zwei Frauen befunden. Es sei unklar gewesen, ob es sich um ZeugInnen oder Geschädigte handelte. Er könne sich jedoch nicht erinnern, dass andere Personen der Masse hinzugeführt worden seien.
Nach Sichtung der Beweisvideos und einigen Gesprächen wird die Verhandlung unterbrochen und ein neuer Termin angesetzt.
Ungefähr einen Monat später wird die Verhandlung am 20. Juni 2019 mit dem dritten Verhandlungstag fortgeführt. Geladen sind die drei Polizeibeamten Fr., F. und O.
Der Angeklagte und als KFZ-Mechatroniker bei Porsche tätige Leiharbeiter Philipp S. erscheint unvorhergesehen nicht zur Verhandlung. Sein Anwalt versucht ihn telefonisch zu erreichen, doch S. hat eine falsche Nummer angegeben. Nach einer viertelstündigen Unterbrechung wird beschlossen das Verfahren von Philipp S. abzutrennen. Anschließend wird die Zeugenbefragung fortgesetzt.
Als Erstes äußert sich der Polizeibeamte F., der wie üblich von seinem Einsatz berichtet. Er sagt außerdem in der Auerbachstraße eine dreiköpfige Gruppe, darunter eine Frau, gesehen zu haben. Diese seien der Gruppe hinzugefügt worden.
Als Nächstes geladen ist wieder der Beamte Fr., der die Videoaufnahmen anfertigte und bereits vor einem Monat, am letzten Verhandlungstag, aussagte.Bei der Sichtung der von ihm angefertigten Aufnahmen zeigt die Richterin auf den im Video erkennbaren Jens E. Trotz der Behauptung, er sei das nicht, hält das Gericht an der Verfahrensabsprache fest. Damit endet die Beweisaufnahme, es werden keine Anträge gestellt.
Im Plädoyer spricht die Staatsanwaltschaft davon, dass sich der Anklagevorwurf bestätig hat. Auf den Videos ist Jens E. erkennbar, wie er vermummt herumsteht und keine Regungen unternimmt, um die PolizeibeamtInnen auf sich aufmerksam zu machen oder zu gehen. Stattdessen erklärt die Staatsanwaltschaft, dass die einzelnen umstehenden Personen nicht direkt zur sitzenden Gruppe geführt wurden, wie auf den Videos zu sehen ist. Dementsprechend sieht Papproth die Aussage von Jens E. als widerlegt. Der einfache Familienvater Jens E., der als Projektleiter einer Werbeagentur arbeitet, nahm in der Vergangenheit bereits mehrfach an Legida teil. Angesichts dessen hält die Staatsanwältin ihm vor im Bewusstsein über das Geschehen gewesen zu sein, der Angeklagte sei deshalb unglaubwürdig. Er hält den Vorwurf des §125 (1) und (4) für voll bestätigt. Jens E. hat demnach in voller Kenntnis in vermummten Zustand am Geschehen teilgenommen und sich des besonders schweren Landfriedensbruchs wegen des ostentativen Mitmarschierens schuldig gemacht. Er plädiert deswegen auf 1 Jahr und 6 Monate, ohne Bewährung.
In seinem Plädoyer erklärt der Verteidiger von E. er habe „geflunkert“, dass er sich nicht entfernt habe. Weil die Beweisaufnahme mit Ausnahme seiner Vermummung aber keine Beweise erbracht hätte, plädiert er auf eine Geldstrafe von 36 Tagessätzen á 60€.
In ihrer Urteilsverkündung erklärt Richterin Hahn: „Flunkern tun Kinder, flunkern tun nicht die Angeklagten“. Sie sieht Jens E.’s Beteiligung erwiesen. Er wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt.