Der Abend des Angriffs 11/01
Am 11. Januar 2016 feierte Legida in der Leipziger Innenstadt sein
einjähriges Bestehen. Parallel verabredeten sich ca. 250 Neonazis, um
den Stadtteil Connewitz anzugreifen. Sie richteten auf der
Wolfgang-Heinze-Straße einen sechsstelligen Sachschaden an, zerstörten
Schaufenster und Geschäfte. In einen Imbiss wurde eine Kugelbombe
geworfen, dessen Betreiber in die Hinterräume fliehen konnten. Bei der
Ausführung des Angriffs waren die Neonazis vermummt und bewaffnet. Der
Überfall am 11. Januar war der größte Neonazi-Angriff in Leipzig seit
den 1990er Jahren.
Ablauf des Angriffs
Es ist kurz nach 19 Uhr als der schwarz-gekleidete Neonazi-Mob hinter
einem umgedrehten Banner, welches Anfang Januar von einer Kirche
entwendet wurde, auf die Wolfgang-Heinze-Straße einbiegt. Schweigend
ziehen sie die Straße hoch, bis eine rote Leuchtkugel über die Straße
geschossen wird. Daraufhin schlagen sie, bewaffnet mit Äxten, Steinen
und Böllern, auf die Scheiben der umliegenden Geschäfte ein. Raketen
fliegen, in eine Kneipe wird Reizgas gesprüht, in einen Döner-Imbiss
werfen die Angreifer eine Kugelbombe. Die Betreiber können in den
Hausflur fliehen und bleiben glücklicherweise unverletzt. Zeug*innen
berichten von Anfeuerungsrufen und Parolen, die gerufen werden, aber
auch von Ansagen, die wie Kommandos klingen. Wahrscheinlich hatten die
Angreifer mit Gegenwehr gerechnet, jedoch befinden sich viele der
Anwohner*innen auf der Gegendemonstration gegen Legida in der
Innenstadt. Daher schlagen die Neonazis heftig, mit der Absicht
maximalen Schaden anzurichten, auf alles ein, was sie finden können.
Nach dem kurzen aber heftigen Gewaltausbruch ziehen sich die Nazis
zurück und biegen in eine Seitenstraße ein, die jedoch direkt zur
Polizeiwache in Connewitz führt. Einige Minuten nach dem Beginn des
Angriffs treffen dort die ersten Einheiten der Bereitschaftspolizei ein
und stellen die Gruppe, nachdem Verstärkung eintrifft. Über 200 Personen
werden eingekesselt, als es Widerstand gibt, setzt die Polizei Reizgas
ein. Jedoch kann die Polizei nicht alle Angreifer festsetzen. Laut
Anwohner*innen entkommen 60 bis 80 Personen über Hinterhöfe und
Seitenstraßen Richtung Auwald. Insgesamt 215 Neonazis werden von der
Polizei festgesetzt und wegen des Verdachts des schweren
Landfriedensbruchs in eine Gefangenensammelstelle gebracht.
Am Tatort selber werden Handys und Tatwaffen festgestellt. In den PKWs,
welche die Täter zur Anreise benutzten und am Connewitzer Friedhof
parkten, werden weitere Gegenstände gefunden. Die Autos werden jedoch
nicht von der Polizei untersucht.
Die Prozesse
Über zwei Jahren nach dem Angriff finden die Prozesse gegen die
mutmaßlichen Täter statt. Insgesamt wird gegen 218 Personen ermittelt.
202 Tatverdächtige werden in Leipzig in insgesamt 85 Verfahren zu
jeweils zwei Personen angeklagt. Allen Angeklagten wird schwerer
Landfriedensbruch vorgeworfen, zum Teil werden auch zusätzliche
Tatvorwürfe verhandelt. Die Mindeststrafe bei schwerem Landfriedensbruch
liegt bei sechs Monaten. 13 Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft
Leipzig nach Dresden abgegeben.^1 Zudem finden Prozesse in Torgau,
Eilenburg und Grimma statt, wobei es sich dabei unter anderem um
Angeklagte handelt, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren. Eine
unbekannte Personenzahl konnte sich der Festnahme entziehen und
entkommen. Der erste Prozess in Leipzig gegen zwei Tatverdächtige
beginnt am 16. August. Für die Ermittlungen nach dem Angriff setzt die
Polizei extra eine Ermittlungsgruppe „Jahrestag“ mit 25 Beamten ein.
Wer waren die Angreifer?
Die politische Motivation der Angreifer ist kein Nebenprodukt des
Angriffs, sondern zentral in der Mobilisierung und Motivation der Täter.
Dies ergibt sich aus den Strukturen, aus denen die Tatverdächtigen
stammen. Darunter sind Mitglieder der „Freien Kameradschaft Dresden“
(FKD), die derzeit mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen
Vereinigungen vor Gericht stehen, extrem rechter Hooligans aus dem
Umfeld der Vereine 1. FC Lokomotive Leipzig (41) und SG Dynamo Dresden
(16) sowie deren Naziszenen „Faust des Ostens“ und „Scenario Lok“. 39
der Tatverdächtigen sind als sogenannte „Gewalttäter Sport“ Behörden
bekannt.[2]
Die Mobilisierung geht weiter über die Grenzen Leipzigs hinaus. Die
Tatverdächtigen stammen aus Berlin (9), Leipzig (68), Landkreis
Nordsachsen (29), Landkreis Leipzig (29), Erzgebirge (15), Erfurt (7)
und Gera (6) und weitere einzelne.[3]
Diese Vernetzung und Koordination muss daher lange geplant und
organisiert worden sein. Aus Chatprotokollen einiger Angreifer, die im
Magazin Kreuzer veröffentlicht wurden, geht hervor, dass innerhalb der
organisierten Neonaziszene Aufrufe und Ankündigungen eines Angriffs
kursierten. Dies deutet daraufhin, dass der Tatplan schon länger
vorbereitet war. Die Angreifer waren vernetzt und konnten mehrere
Treffpunkte ausmachen, an denen sie sich mit PKWs getroffen haben. Auch
auf Facebook wurde auf zwei einschlägigen Facebook-Seiten, der „Freien
Kameradschaft Dresden“ und von „Ultras & Hooligans Dresden“, zur
LEGIDA-Demonstration nach Leipzig mobilisiert. Zudem fand der Angriff
zeitgleich zum Jubiläum von LEGIDA statt, bei dem die rechte
Hooliganband „Kategorie C“ auftrat.
*Wie konnte es zu dem Angriff ohne das Wissen der Sicherheitsbehörden
kommen?*
Staatliche Behörden schätzten entscheidende Hinweise falsch ein und
machten damit den Angriff möglich. In den Prozessen stellen sich vor
allem die Fragen, aus welchen Strukturen die Angreifer stammen, wie sie
kommunizierten und wer die Ideengeber für den Angriff waren. Ob sich
diese im Laufe des Gerichtsverfahrens beantworten lassen, bleibt offen.
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen beantwortete eine kleine
Anfrage zur Mobilisierung und Verbreitung des Aufrufs zum Angriff damit,
dass keine Erkenntnisse darüber bestanden. In einem Beitrag des
MDR-Magazins „exakt“ äußert sich ein Sprecher des LfV Sachsen, dass
„bekannt war, dass Rechstextremisten, auch hochgradig gewaltbereite
Rechtsextremisten den ersten Jahrestag von Legida nutzen werden, um
aktiv zu werden.“ Die Mobilisierung nach Connewitz sei aber kurzfristig
über soziale Medien erfolgt.[4] Dabei kursierten in den bereits erwähnten
Chatprotokollen schon Tage zuvor Aufrufe, indem sich gegenseitig zum
Angriff auf Connewitz motiviert wurde. Auch auf Facebook gab es zwei
öffentliche Aufrufe, in denen die FKD und rechte Hooligans für die
Legida-Demonstration mobilisierten. Die Gefahrenlage war daher
offensichtlich, die Polizei jedoch scheinbar vom Plan der Nazis
überrascht. Allein durch den Aufruf in den Chatprotokollen stellt sich
die Frage, wie groß der Kreis der Personen ursprünglich war, der
insgesamt mobilisiert werden sollte und wie viele Menschen im Vorfeld
von der Aktion wussten. Laut Recherchen des Magazins „der rechte rand“
hatten mehrere Dienststellen der Polizei ebenfalls Aufrufe in sozialen
Medien gesichert.
Das Banner, dass die Angreifergruppe vor sich trug und ein Aufruf zur
Gegendemonstration gegen Legida war, wurde Anfang Januar von einer
Kirche in der Leipziger Innenstadt entwendet. Nach den Festnahmen in
Connewitz blieb es auf der Straße liegen, wurde nicht kriminaltechnisch
untersucht, sondern von Polizeiwägen unbeachtet überfahren. Die
Untersuchung hätte eventuell Rückschlüsse auf die Organisatoren ergeben
können, die das Banner den Angreifern zur Verfügung stellten.[5]
Zudem waren unter den Angreifern einschlägig bekannte Strukturen und
Personen beteiligt, was auch in aus den kleinen Anfragen an das
sächsische Innenministerium hervorgeht. Dass die Polizei trotz ihrer
Gefahren und Strategieeinschätzung vor der Demonstration nichts von der
breiten Mobilisierung innerhalb der Szene mitbekommen hat, die sich über
mehrere Bundesländer zog, ist fragwürdig oder lässt sich auf eine
verfehlte Praxis zurückführen.
Bereits im September 2015 versuchte eine Gruppe nach einer Demonstration
der „Offensive für Deutschland“ ein linkes Kulturprojekt anzugreifen.
Dabei parkten sie die PKW dort, wo auch am 11. Januar die Autos geparkt
wurden, von dem sich die Angreifer zu Fuß weiterbewegten. Ende des
Jahres 2015 versammelten sich Anhänger der Freien Kameradschaft Dresden
am Rande der Dresdner Neustadt im Vorfeld einer Pegida Veranstaltungen
und griffen Menschen an.[6]
[1] http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Erster-Prozess-wegen-Neonazi-Ausschreitungen-in-Connewitz-startet-im-August
[2] Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Köditz, Fraktion DIE LINKE
Drs.-Nr. : 6/3840
[3] Ebd.
[4] Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Köditz, Fraktion DIE LINKE
Drs.-Nr. : 6/6308
[5] https://www.der-rechte-rand.de/archive/3523/connewitz-ueberfall/
[6] https://www.der-rechte-rand.de/archive/3523/connewitz-ueberfall/